Vor Ort in Nigeria 2020



Brief von Gabi Ayivi vom 08. Juni 2020:

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

liebe Unterstützerinnen und Unterstützer von Olileanya,

liebe alle, die uns entweder ganz gezielt aufrufen oder aus Versehen auf der Suche nach irgendwas über unsere Website stolpern und – glücklicherweise – darin hängen bleiben.

Covid 19? Wie schreibt man das? Egal, es interessiert mich nicht.

Bild: Bougainvillea 

Das scheint sich eine unserer beiden Bougainvilleen zu denken. Unbeeindruckt von den Ausgangsbeschränkungen um sie herum, von den Ängsten, von den Irritationen, von der mangelnden Ausstattung in nahezu allen Bereichen blüht sie an zwölf Monaten im Jahr, überreichlich. Sie explodiert förmlich und zieht ihre Umgebung mit ihrer Farbenpracht in ihren Bann. Manchmal fühle ich mich wie bei Dornröschen, weil mittlerweile auch das Mäuerchen der Nachbarin überwuchert wird, die Hecke breitet sich über den Hühnerstall und auf dem Hausdach bis über mein Büro.


Ein großer Trost durch ein Stück Normalität, ein Hinweis: Manche Dinge bleiben, wie sie sind - Sonnenschein, Regen, und irgendwann ist auch diese Prüfung überstanden – wie auch immer.



Ich schiebe diesen Rundbrief nun seit Wochen vor mir her und es fällt mir sehr schwer, überhaupt etwas zu formulieren. Nie hätte ich gedacht, mal eine totale Schreibblockade zu erleiden. Natürlich gibt es enorm viel zu berichten, die Frage ist nur: Was zuerst, wie negativ fällt es aus, was bleibt an Zuversicht hinsichtlich der Zukunft nicht nur von Nigeria oder Afrika, sondern grundsätzlich?

Nachdem ich meine Fragen und Zweifel lange Zeit mit mir diskutiert habe, werde ich in diesem Brief von der grundsätzlichen Situation hier im Haus und unseren bereits vor der Pandemie durchgeführten Aktivitäten berichten und dann – eventuell - in einem weiteren Schreiben auf die bedrohliche Situation in Nigeria eingehen, die uns ja hautnah betrifft. Alles steht Kopf und verunmöglicht jedwede Planung. Vieles musste bereits auf „später irgendwann“ verschoben werden. Wie weit werden wir kommen? Werden wir verschont bleiben von der großen Katastrophe in unserem Winkel Emene?

Es geht also erst mal in gewohnter Weise los mit dem

Haus Nno:

Auch hier die Frage: Wo anfangen?

Glücklicherweise gibt es drei sehr erfreuliche Nachrichten: Alle Kinder, die HIV-positiv sind, haben aktuell sehr gute bis ausgezeichnete Laborwerte aufzuweisen. Das Ergebnis der Viruslast erreicht bei dreien entweder einen Wert, der dem eines gesunden Menschen entspricht, der Trend bei den noch ausstehenden Ergebnissen geht in die gleiche Richtung. Das ist für Chioma und mich eine sehr gute Nachricht, weil sie aufzeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Ähnlich Positives ist zu Immaculata zu vermelden: Sie ist 7 cm gewachsen und hat 6 kg zugenommen. Das ist zwar nicht umwerfend, aber eine gute Entwicklung. Nach wie vor ist sie im Umgang mit Erwachsenen extrem zurückhaltend, nutzt zur Kontaktaufnahme mit uns fast immer ein anderes Kind. Immerhin fängt sie jetzt zögerlich an, Englisch zu reden. Vermutlich war es in ihrem bisherigen Leben nicht besonders attraktiv, zu viel von der Welt zu erwarten.

Promise hat einen riesigen Schub gemacht. Schüchtern sprießt die Idee eines Barts am Kinn, Chioma und ich sind gerührt. Er hat zwar die Abschlussprüfung von der Grundschule absolviert, durch die aktuellen Einschränkungen liegt aber bis jetzt noch kein Ergebnis vor. Insofern ist nicht klar, ob er in die nächste Stufe wechseln kann. Immerhin motivieren ihn seine guten Laborergebnisse (im Moment), seine Medikamente zuverlässig einzunehmen.

Wie so oft im Leben gibt es sehr bedauerliche Rückschläge. Joy, die von Anfang an Schwierigkeiten hatte, ihren Platz in der Gruppe zu finden, konnte weiterhin ihre aggressiven Ausbrüche nicht kontrollieren. Bereits zweimal hatten wir sie zurück ins Dorf geschickt, um ihr eine Auszeit zu geben. Jedes Mal versicherte sie bei ihrer Rückkehr, sich in Zukunft zu beherrschen. Problematisch ist, dass sie ihre Frustration immer an jüngeren Kindern auslebt, denen sie aufgrund ihres Alters kräftemäßig weit überlegen ist. Bei der letzten Aktion ging bei der großen Mmesoma ein bleibender Schneidezahn zu Bruch – laut Joy‘s Erklärung sei es „nur“ eine spielerische Auseinandersetzung gewesen. Es zeigt sich, dass sie sich nach wie vor nicht an die Vereinbarung hält, bei den Kleinen grundsätzlich auf Abstand zu gehen. Deshalb habe ich sie ein weiteres Mal in ihr Dorf geschickt in die „Obhut“ ihrer Mutter, mit einem entsprechend mulmigen Gefühl. Es ist klar, dass sie dort keinerlei Perspektive hat, ihr eigenes Leben aufzubauen. Deshalb hatten wir – Chioma und ich – nach reiflicher Überlegung einen weiteren, aber ultimativ letzten Versuch nach dem Ende der Osterferien ins Auge gefasst. Dies stieß vor allem bei Dr. Aninwada und Fada Benet auf große Zustimmung. Wir werden sehen, ob ihre Zuversicht berechtigt ist. Auf jeden Fall hatten sie versprochen, sich als männliches Element in regelmäßigen Gesprächen mit ihr einzubringen. Durch die aktuelle Situation wurde dieser Termin wegen der Schließung der Schule bis auf weiteres verschoben.

Der zweite Rückschlag kam aus einer Ecke, aus der ich ihn nicht erwartet hatte. Ifechukwu, einer der drei Brüder Mmadu, hatte begonnen, zunächst unbemerkt kleinere oder größere Beträge aus der Haushaltskasse zu entwenden. Dabei ging er immer dreister vor. Mit dem gestohlenen Geld finanzierte er sich Wünsche, die auch immer größer wurden, zuletzt diverse Handys, die er entweder versteckte oder aber verkaufte. Die größeren Buben wussten zwar von den „Geschäften“, fragten sich jedoch nicht, woher er das Geld dafür hatte. Aus falsch verstandener Solidarität und auch eingeschüchtert durch verbale Drohungen, was passiere, wenn sie ihn verpfeifen würden, bewahrten sie Stillschweigen. Mitte März hatte er es jedoch zu weit getrieben und die ganze Geschichte flog auf. Obwohl die Beweise erdrückend waren, hat er immer noch geleugnet und gelogen. Zu meiner großen Erleichterung war an diesem Vormittag der Klavierlehrer der Kinder vor Ort, der die Klärung der Angelegenheit auf seine ruhige, aber sehr bestimmte Art übernahm. Nach entsprechender Absprache haben wir Ifechukwu am gleichen Tag zu seinem Onkel in einen anderen Stadtteil von Enugu geschickt. Von dort aus soll er das Schuljahr abschließen können. Ab dem Herbst wird hoffentlich ein weiterer Onkel aus Lagos ihn be sich aufnehmen . Der Vater ist mit diesem Sohn komplett überfordert, diese Möglichkeit entfiel also.

Wieder einmal zeigte sich, dass unser Setting für die zum Teil großen Entwicklungsstörungen einzelner Kinder nicht ausreichend ist. Es wäre wunderbar, wenn wir HeilerziehungspflegerInnen während oder nach der Ausbildung für ein Jahr hier einstellen könnten, um diese Kinder zu begleiten und die seit früher Kindheit zugefügten Verletzungen aufzuarbeiten. Auch hier können wir wegen Covid nicht entsprechend unseren Wünschen planen. Es tut sehr weh, ein begabtes und sensibles Kind wegzuschicken, weil sein weiterer Verbleib die gesamte Gruppe gefährdet.

Covid 19 macht uns nun in jeder Hinsicht einen deutlichen Strich durch die Rechnung. Wir haben keine Ahnung, ab wann in Nigeria die Schulen wieder geöffnet werden können. Die ganze Wucht der Pandemie ist in Enugu State noch nicht angekommen, alles spielt sich im Moment noch in den Zentren wie Lagos und Abuja ab sowie im Bundesstaat Kano im Norden der Republik. Es ist also absolut offen, wann und ob Ife ein Schuljahr abschließen kann, wann und ob er zu seinem Onkel nach Lagos übersiedeln kann. Vorerst wird das Kostgeld an seinen Onkel nach Gariki, seine aktuelle Zwischenstation, überwiesen.

Wir hatten wie in allen vorigen längeren Ferien die Kinder, die noch Familienangehörige haben, in ihre Dörfer geschickt. Mit ein Grund war der Gedanke, dass in den abgelegenen Regionen sehr wenig Kontakt nach außen stattfindet. Wider Erwarten wurden jedoch mittlerweile die Landesgrenzen geschlossen, so dass einige Kinder aus den benachbarten Bundesstaaten im Moment nicht zurückkehren können. An alle Familien werden Gelder der Paten überwiesen, sofern wir eine Kontonummer bekommen.

Und siehe da: so banal wie zuverlässig – nichts ist so beständig wie die Verändeung. Vor ein paar Tagen stand Ifechukwu vor der Gartentüre, zum ersten Mal seit dem fatalen Samstag vor mehreren Monaten. Er wolle wieder zurückkommen, sein Verhalten tue ihm sehr leid. Und auf gar keinen Fall wolle er zu seinem Onkel nach Lagos. Jetzt gilt es also, einen gangbaren Weg zu finden, um ihn wieder hier einzugliedern. Ejike, unser Haus- und Hofmaler, möchte ihn unter seine Fittiche nehmen und einmal wöchentlich Gespräche mit ihm führen. Vermutlich hilft das wesentlich mehr als jede noch so gute Verhaltenstherapie, weil er im gleichen Milieu aufgewachsen ist – ganz abgesehen davon, dass ich vermutlich in ganz Enugu-State keinen Therapeuten für einen desorientierten Jugendlichen finden werde. Mich stimmt positiv, dass wir uns beide sehr mögen, trotz aller Probleme.

Okwudili und ich sind dazu übergegangen, unseren Stoff-Vorrat in bunten Mundschutz zuinvestieren. Bis jetzt mündete unsere Aktion noch nicht in einen Geschäftsbetrieb. Ich habe, ehrlich gesagt, darauf auch keine Lust. Wir beschränken uns auf unseren eigenen Bedarf sowie auf einen überschaubaren Personenkreis aus dem Umfeld des Krankenhauses und auf Angehörige, die sich einen Kauf nicht leisten können.

Bilder:          Mundschutz,                       „Hygiene-Station“ vor der Haustüre

Und dann haben wir es geschafft, trotz alledem, unsere jährliche Mangomarmeladekochorgie durchzuführen. Zwei Tage lang hat sie in Anspruch genommen, angefangen mit dem Einkauf, dem Anheuern von zwei Frauen, die geschält und kleingeschnitten haben, Kochen, abfüllen etc. pp. Jetzt haben wir 128 Gläser eines köstlichen Produkts in vier verschiedenen Geschmacksrichtungen. Wenn ich noch mehr Zutaten hätte, könnte die Palette weiter ausgeweitet werden. Es ist einfach nur wunderbar.

Nebeneffekt: zwei Frauen hatten Arbeit und Verdienst für einen Tag – so war das alles geplant und in der Satzung festgehalten. Kleine Tropfen und ein richtig gutes Gefühl.

Bilder:  Mangomarmelade

Bild links: der Einkauf                                           Bild rechts: Chiadi ist für Ingwer zuständig









Bild links:  abkühlen                                                        Bild rechts: Endlagerung


HIV

Auch hier hat sich in den vergangenen Monaten Erstaunliches ergeben. Zunächst: Eine weitere NGO wurde ins Leben gerufen, was bei mir immer Erheiterung hervorruft bis hin zu massiven Zweifeln, was denn nun bitteschön besser werden sollte. Eine Hilfsorganisation aus den USA ist in Erscheinung getreten, die mit Unterstützung von Caritas und was weiß ich die Situation von HIV-positiven Kindern und Jugendlichen verbessern will. Es soll eine umfassendere Erfassung des betroffenen Personenkreises erfolgen, das Umfeld soll einer Prüfung unterzogen werden, wo nötig, soll finanzielle Unterstützung gewährleistet werden.
Und schwuppdiwupp wird die Viruslast wieder alle halbe Jahre überprüft – wer weiß, wie lange. Es fand vor immerhin mehr als einem halben Jahr eine großangelegte Befragung statt, auch hier im Haus, um einen Gesamtüberblick über die aktuelle Situation zu gewinnen. Eigentlich hätte dies seit Jahren über die bereits existierenden Stellen geschehen können. Wie auch immer – nach einem Vierteljahr zeigte sich, dass die Ansätze die falschen waren, alle Daten wurden wieder vernichtet, es wird von vorne angefangen. Von nigerianischer Seite zeichnet sich das gesamte Unternehmen als gigantische Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme ab, gesponsert durch die USA, bislang ohne zu fassenden Effekt für den betroffenen Personenkreis.

Nur so viel: Alleine in Enugu East beläuft sich die Zahl der registrierten Kinder und Jugendlichen auf 177 Personen, die sich in Behandlung befinden. Dies sei - gemessen an Gesamt-Nigeria – eine alarmierende Anzahl. Ursache: unbekannt. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein.


Augenzentrum Dr. Eckert, Nigeria / Annunciation Specialist Hospital:

Dieser Teilbereich meiner Arbeit ist ein sehr trauriger. Die Baustelle steht seit Monaten still, weil die Spendengelder im Vergleich zu früher spärlich tröpfeln. Die Patientenzahl nimmt im Vergleich drastisch zu. Es wäre wunderbar, wenn wir endlich mit unserer Arbeit beginnen könnten. Die Werbung muss hier jedoch in erster Linie über das Augenzentrum Dres. Eckert in Herrenberg laufen. Olileanya begleitet den Bau der Klinik lediglich organisatorisch und flankierend. Welche Konsequenzen ein Baustop in unserer Region mit seinem tropischen Klima hat, zeigt ein Foto. Die Vegetation wuchert ungebremst, wenn man sie lässt. Unser „Sicherheitsbeauftragter“ für das Grundstück wird diesem Wildwuchs künftig Grenzen setzen.

Bilder vom Gelände der Augenklinik: Die Natur erobert ihr Gelände zurück.







Eine äußerst bedauerliche Maßnahme wurde im Rahmen der Corona-Pandemie ergriffen: Das Hospital hatte die augenärztliche Ambulanz den ganzen April über geschlossen, um Personalkosten zu sparen. Betroffen: die Patienten. Solche fragwürdigen Entscheidungen entfallen, wenn wir endlich in eigener Regie arbeiten können. Dass der Bedarf nach wie vor besteht, zeigt eine telefonische Kontaktaufnahme aus Österreich vor einigen Tagen. Der nigerianische Angehörige eines vermutlich neuen Patienten hatte im Internet gesucht und war auf unsere Aktion gestoßen. Leider weiß ich im Moment nicht, wo ich das Geld für weitere Fälle hernehmen soll. Jetzt wird erst mal eine Diagnostik vorgenommen, und dann sehen wir weiter.

Die IBAN des Augenklinik-Kontos lautet DE60642901200056955022,
BIC GENODESIVRW
Beim Verwendungszweck sollte angegeben werden, ob er der medizinischen Versorgung oder dem Neubau zugedacht ist.



Allgemeine medizinische Versorgung:

An dieser Stelle möchte ich den Fall von Frau U. aus der Rubrik „Sonstiges“ in den Blick rücken und wegen seiner Dringlichkeit nochmals in Erinnerung rufen:

Wie bereits geschildert, erlitt die 32jährige Frau vor inzwischen fast einem Jahr eine Fehlgeburt, die wegen falscher Nachbehandlung in einem Nierenversagen mündete. Seither ist Frau U. dialysepflichtig mit Kosten, die für den Ehemann nicht aufzubringen sind (ausführliche Schilderung im letzten Rundbrief).

Eigentlich wäre eine zweimalige Dialyse in der Woche dringend angeraten, wir können jedoch nur eine Durchführung finanzieren. Wenn alles „normal“ vonstatten geht, belaufen sich die Kosten auf 100 Euro in der Woche. Wenn Blut verabreicht werden muss oder Störungen auftreten, wird es entsprechend teurer. Deshalb fließen alle größeren Spenden, die nicht konkret für die Kinder gedacht sind, im Moment in die Behandlung dieser Frau. Wenn das nicht mehr zu finanzieren ist, stehe ich mit dem Rücken zur Wand. Es wäre extrem bitter, die Dialyse einstellen zu müssen. Frau U. wäre zum Tod verurteilt, ihr Mann Witwer, ihre Kinder Halbwaisen.
Es ist mir klar, dass solche Summen für eine Einzelperson schwierig zu finanzieren sind. Deshalb träume ich davon, dass sich eine größere Gruppe zusammenfindet – in einer Kirchengemeinde, in einem Krankenhaus, in einem Lehrerkollegium, in einem Betrieb, wo auch immer – und eine Patenschaft für Frau U. übernimmt.


Bild links: Frau U. in der Dialyse                              Bild rechts: Dialyse-Unit ASH Emene

Bild unten:
einmal wöchentlich werden die Medikamente gerichtet - 10 verschiedene Präparate 29 Kps./Tbl./Drgs. täglich

Hier möchte ich wieder einmal ein Buch vorstellen und wärmstens empfehlen:
Abraham Verghese „Rückkehr nach Missing“, erschienen im Insel Verlag.
„Was für ein ergreifender Roman über die Wunder des Lebens.“ (freundin)

Ich zitiere die Leiterin des Krankenhauses in Äthiopien in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Wie ich war sie ständig damit beschäftigt, Gelder zu erbitten, um den Betrieb aufrecht erhalten zu können. In einem Gespräch mit einem ihrer Sponsoren, der aus den USA angereist war, um die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder zu überprüfen, erklärt sie ihm: 

„... Wir bekämpfen nicht einmal Krankheiten. Sondern die Armut. Geld für Nahrung, Medikamente ... das ist Hilfe. Wenn wir schon niemanden heilen und niemandem das Leben retten können, sollen unsere Patienten sich wenigstens versorgt wissen. Das sollte ein grundlegendes Menschenrecht sein.“

Alle Menschenrechte sind festgeschrieben, irgendwo: Recht auf Arbeit, auf sauberes Wasser, auf Bildung, auf Würde – an alles ist gedacht; auf dem Papier. Diejenigen, die dies alles vermissen, sind in den seltensten Fällen in der Lage, es einzufordern...


Lepra:

Der aktuelle Bericht soll versöhnlich enden:

Wir hatten unseren ersten Radio-Auftritt in Nigeria Radio Enugu zum World-Leprosy-Day 2020. Er findet in jedem Jahr am letzten Sonntag im Januar statt. Wir erinnerten in einem spot von einer Minute zusammen mit JDPC (einer Initiative der katholischen Kirche – Justice, Development, Peace and Caritas) an das Ereignis. An drei aufeinander folgenden Tagen wurde der Beitrag zweimal täglich ausgestrahlt. Im nächsten Jahr fassen wir eine größere Aktion ins Auge, auch im Rahmen des 10jährigen Bestehens von Olileanya.

Nach wie vor floriert unsere Sprechstunde einmal monatlich. Die Bewohner des Camps freuen sich jedes Mal unendlich, wenn wir auf dem Gelände eintreffen. Dr. Aninwada ist ein Segen für die Menschen. Unbeirrt von Corona treten wir seit einem Jahr dort an, wo die Hilfe am dringendsten erforderlich ist.

Dies wurde Ende März einmal mehr deutlich, als wir einen neuen Bewohner vorfanden, einen jungen Mann, der von der Erkrankung schwer gezeichnet ist. Er kommt von Delta-State und erzählt, wie glücklich er ist in Emene, wo er kein „Aussätziger“ mehr ist, sondern Teil einer Schicksalsgemeinschaft.

Offensichtlich hat die Ordensgemeinschaft, die das Camp organisiert, eine größere Geldspende erhalten. Innerhalb kürzester Zeit wurden während der Trockenzeit neue Gebäude erstellt, die ersten Bewohner konnten bereits umziehen. Es gibt endlich Toiletten und Duschen und ausreichende Wasservorräte. Wir bekommen sogar ein eigenes Zimmer, um unsere Dinge zu deponieren, während der Regenzeit können die Sprechstunden „auf trockenem Boden“ stattfinden. Wir sind dankbar.

Und auch hier können Sie gezielt helfen. Mit einer Spende für das Lepra-Camp können wir die Medikamente bezahlen und das Gehalt für Doktor Aninwada. Ein kurzer Hinweis auf Ihrer Überweisung genügt.


Bilder: DAHL kommt zu Besuch und bringt im Rahmen der Pandemie Lebensmittel

















Nigeria in Zeiten von Covid 19

Die Regierung ließ in den Nachrichten vor ein paar Wochen offiziell mitteilen, „Covid 19 will be with us for a little longer“. ( Covid 19 wird ein wenig länger bei uns bleiben.“) Nett formuliert!

In Deutschland nicht vorstellbar: ein Großteil der erwachsenen Männer nicht nur in Enugu steht am frühen Morgen auf, um sich an eine der zahlreichen Sammelstellen am Straßenrand zu setzen und darauf zu warten, bis jemand kommt und ihm Arbeit für diesen Tag gibt – Tag für Tag, jahrein, jahraus. Eine Frau steht auf, bereitet das Frühstück für die Familie, kocht „local food“ für den Straßenverkauf, den sie dann auf einem Schubkarren ihren Kunden anbietet. Mal haben diese Frauen einen festen Stellplatz, mal schieben sie ihren Karren durch die Straße. Ein lock down hat für sie katastrophale Folgen – die noch so geringen täglichen Einnahmen gehen verloren, die eigene Versorgung ist nicht mehr möglich. Auch in den Elendsvierteln muss Miete bezahlt werden, die Preise für Lebensmittel gehen durch die Decke. Auch hier gehen Arbeitsplätze verloren!!! Die kleinen Werkstätten, open air am Straßenrand, die auf Laufkundschaft angewiesen sind, haben keine Arbeit mehr.

Die Menschen in Lagos ließen vermelden, dass sie es vorziehen würden, an dem Virus zu sterben statt zu verhungern. Die verantwortlichen Politiker stehen mit dem Rücken zur Wand. Es gibt keine sinnvolle Planung, zumindest wird sie an der Basis nicht sichtbar. In einer sinnlos anmutenden Weise werden Modelle der westlichen Welt nach Nigeria importiert, die für die hiesigen Verhältnisse absolut untauglich sind. Ein lock down hilft in unseren Breiten nicht, er tötet, dazu braucht es kein Virus. Eine Schließung der Grenzen zwischen den einzelnen Bundesländern behindert den Transport frischer Lebensmittel. In den Einkaufzentren gibt es zeitweise kein Milchpulver mehr – was blüht, ist der Schwarzmaarkt, die Korruption schießt ins Kraut. Nicht einmal in der Hochblüte von Ebola habe ich eine solche Lähmung wahrgenommen. Und dennoch stehen die Menschen täglich von Neuem auf, pfeifen auf Lock down und machen sich auf den Weg, um zu überleben. Igbo-people sind zäh!



Gabi in Zeiten von zunehmendem Rassismus in der sogenannten zivilisierten Welt:

Ich bin mehr als dankbar für mein Leben in der weißen Diaspora im Südosten von Nigeria. Seit mehr als 6 Jahren lebe ich als absolute Minderheit in einem Randgebiet von Enugu. Nur sehr, sehr selten begegne ich Menschen meiner eigenen Hautfarbe im Krankenhaus oder wenn wir selbst Besuch aus Europa bekommen. Und noch nie habe ich mich als Fremdkörper gefühlt, ganz zu schweigen davon, dass ich als solcher behandelt würde. Vor wenigen Tagen war ich auf dem Krankenhausgelände unterwegs, trug eines meiner schönen afrikanischen Kleider. Ein mir völlig unbekannte Mann rief mir im Vorübergehen zu: „Sweet mummy, you look wonderful!“ – eine für Deutschland unvorstellbare kurze Begegnung. In aller Armut und aller Not können afrikanische Menschen das größte Geschenk vergeben: Akzeptanz, Freundschaft, das Gefühl, willkommen zu sein. Ich würde mich freuen, wenn solche Geschenke auch in Deutschland verteilt würden.


Grundsätzlich geht ein riesiges DANKESCHÖN an alle, die uns unterstützen. Es ist nicht selbstverständlich. Aber ohne dich / Sie könnte OLILEANYA nicht überleben.

Die Einzelspenden wurden in der Vergangenheit ergänzt durch Einnahmen aus verschiedenen Aktionen: Benefiz-Konzerte, Lesungen, meine sommerliche Rundreise durch Deutschland. All das wird es dieses Jahr entweder gar nicht oder in sehr reduziertem Umfang geben. Covid-19 erlaubt weder meine Ausreise aus Nigeria noch meine Einreise nach Deutschland, größere Veranstaltungen in Deutschland sind bis auf Weiteres nicht möglich. Diese unerwartete Entwicklung wird unser Bankkonto sehr belasten. Der Betrieb des Haushaltes und damit die Versorgung der Kinder ist durch die Patenschaften gewährleistet. Problematisch wirkt sich die Situation auf die Unterstützung der Armen im Krankheitsfall aus. Und hier wird sich der Bedarf drastisch erhöhen, wenn das Virus sich in Enugu State in vollem Umfang verbreitet. Bislang ist es auf die großen Städte und auf den Norden des Landes konzentriert. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis sich das verändert. Und bislang hat man sich nirgendwo in wenigstens halbwegs ausreichendem Maße darauf vorbereitet. Es fehlt an Ärzten, an Pflegepersonal, an Ausstattung. Wir gehen harten Zeiten entgegen. Einziger vager Lichtblick: ein Impfstoff, der hoffentlich irgendwann auch mal in Nigeria verabreicht werden kann.

Ich bitte deshalb mehr denn je darum, auf unsere Existenz und unsere Arbeit aufmerksam zu machen, die Adresse unserer Website weiter zu verbreiten.

Nach wie vor gilt: Jeder positive Gedanke, den Sie an uns schicken, kommt als wertvoller Impuls hier an, das ist sicher.

Im Juni 2020

Gabriele Ayivi