Reisebericht Teil 2:   7.+ 8.August 2012

Dienstag, 07.08.2012

Gabi schreibt:

Heute kam ich meiner Vision vom Leben in Emene schon recht nahe: unter einem großen Baum im Garten sitzend, strickend, nachdenkend. Hätte richtig gut geklappt, nur hapert es an der Sonne. Dicke Regenwolken hängen über dem Land. Und die Steinbank ist auch eher unbequem. Aber der Schal für den Weihnachtsbazar in Rottweil wurde nahezu fertig und trägt jetzt über weite Teile die gemäßigte Gangart Afrikas in sich. Ich wünsche mir, dass sich dies auf seine künftige Trägerin überträgt. 

Am späteren Nachmittag spazierten wir zu der Künstlerfamilie, die ich unmittelbar nach meiner ersten Ankunft hier kennen lernte. Der Vater war unterwegs gewesen, um einen Auftrag an Land zu ziehen und wurde für den Abend zurück erwartet. Den größten Teil des Tages hatte er im Bus verbracht zusammen mit einer großen Madonnenskulptur, die er in  den nächsten 2 Wochen restaurieren soll. 


Die Eltern konzentrieren ihre gesamte Energie darauf, um den 7 Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Dafür verzichtet die Familie auf jeglichen Komfort. Im Garten hinter dem Haus wird Gemüse angebaut, es gibt einige Obstbäume, Hühner werden gehalten. Das Essen wird möglichst über dem offenen Feuer gekocht, weil Gas zu teuer ist. 

Wir diskutierten den Einsatz von Solarkochern. Vor allem die Mutter war von dieser Möglichkeit sehr angetan. Der Vater meinte, dass die Akzeptanz bei den Menschen wahrscheinlich sehr groß sei. Diese Perspektive gilt es abzuwägen.


Stefan schreibt:

Der 18-jährige, dritte Sohn der Familie macht dieses Jahr seinen Highschoolabschluß und wird danach mit einer Ausbildung zum Krankenpfleger in Enugu beginnen. Eines Tages, so erzählte er mir unter vier Augen, wolle er nach Großbritannien auswandern, um dort anständiges Geld zu verdienen, und um der unsäglichen Armut und Hoffnungslosigkeit seines Landes zu entfliehen. Das Schlimme daran ist, dass wahrscheinlich so gut wie jeder hier von einem besserem Leben in Europa oder sonst wo träumt. Die Chancen gehen für die meisten jedoch gegen Null. Allein die Kosten für den Flug übersteigen die finanziellen Möglichkeiten bei Weitem. 


Mittwoch, 08.08.2012

Gabi schreibt:

Den Vormittag verbrachte Stefan im Kampf um den Zugang zum Internet. Inzwischen hat das Dracc ein Cybercafé, in dem auch Kinder im Umgang mit dem Computer geschult werden. Endlich war es so weit und wir konnten den ersten Teil unseres Tagebuches abschicken. 

Nachdem wir unsere restlichen Brillen abgeliefert hatten, besuchten wir die Näherin des Krankenhauses. Durch Stefan lerne ich ganz andere Leute kennen als bisher. Er wird viel offener einfach angesprochen, als dies mit mir passiert. Die junge Frau sitzt sehr abseits neben der Wäscherei und bessert defekte Textilien aus. Sie bedient sich hierzu einer mit einem kleinen Motor ausgestatteten alten Nähmaschine. Wenn die Fadenrollen nicht auf dieses Modell passen, sucht sie flugs nach einer Lösung. 


Sollten die Maße der zur Verfügung stehenden Stoffbahnen nicht passen, werden für ein Laken einfach zwei zusammengenäht.

Fadenzufuhr à la Madame Chisoba

Am Nachmittag machten wir einen zweiten Spaziergang zu „meinem“ Grundstück und hatten erstmals Kontakt zu meiner künftigen Nachbarschaft. Die Umgebung gefällt mir ausnehmend gut – Natur pur. Hier lässt es sich gut leben. 

Grundstück für Gabis Haus

Straße die zum Grundstück führt

Für den Betrachter wird es schwierig sein, in dem Gewirr von Pflanzen auf dem ersten Bild ein  System zu erkennen. Der größte Teil davon ist jedoch Gemüse. Offensichtlich gibt sich derjenige, der es anbaute, nicht damit ab, zu jäten. Er lässt einfach alles wild wachsen. Irgendwann wird er ausgraben, was für ihn nutzbar ist. Das Gelände gehört zwar den Daughters of Divine Love; es ist jedoch Usus, dass jedes Stückchen Land genutzt wird, das nicht umfriedet ist – von wem auch immer. 

Abends besuchte uns Dr. Eze im Dracc. Er schilderte in beeindruckender Weise die Probleme Nigerias, die auch nach der letzten Wahl nicht geringer geworden sind. Dem personellen Wechsel im Amt des Präsidenten sind noch keine sichtbaren Konsequenzen für die Bevölkerung gefolgt. Im wesentlichen sei es so, dass sich eine Handvoll Menschen auf Kosten der restlichen Einwohner bereichere. 


Stefan schreibt:

Es ist wirklich erschreckend, was Dr. Eze zu berichten weiß. Zudem sieht es ganz danach aus, dass sich in absehbarer Zeit nichts an diesen desaströsen Zuständen hier ändern wird. Dazu müsste das ganze System umgekrempelt und reformiert werden - bei nahezu doppelt so vielen Einwohnern wie in Deutschland sicher keine einfache Aufgabe. Auf die Frage, warum das Volk nicht aufbegehrt, revoltiert, meinte er, dass es den Menschen anscheinend noch nicht schlecht genug geht. Das ist insofern bitter, wenn man sieht, unter welchen Umständen die Menschen hier z.T. leben.