Reisetagebuch Teil 1: 4.- 6. August 2012

±Reisetagebuch

Stefan und Gabi

Zimmern - Ichenheim – Offenburg – Frankfurt – Abuja


Samstag, 04.08.2012

Gabi schreibt: 

nun sind wir da – eigentlich schon seit gestern nachmittag. Aber da befanden wir uns eigentlich lediglich auf der durchreise von abuja nach enugu...

fangen wir von vorne an:

die Reise begann für mich in Zimmern um 4.00 Uhr gestern Morgen. Auf einer nahezu leeren Straße tuckerte ich nach Ichenheim, um Stefan abzuholen, der mir dankenswerterweise vor der Abfahrt zum Zug einen ersten Kaffee kochte. Der Rest der Familie schlief noch den Schlaf der Gerechten. 

In Offenburg enterten wir um 6.35 Uhr den Zug nach Frankfurt – erstmals stellte sich ein Gefühl von Urlaub ein. Das Gewimmel auf dem Frankfurter Flughafen meisterten wir wie Leute, die Reisen gewohnt sind. 

Nach einem sehr ruhigen und angenehmen Flug landeten wir kurz vor 15.40 Uhr Ortszeit in Abuja, der Hauptstadt Nigerias. Bewegend für mich war ein weiteres Mal, dass wir bereits bei der Landung von zwei Mitpassagieren mit einem „Welcome in Nigeria“ begrüßt wurden. Die Passkontrolle verlief reibungslos, die Zollkontrolle entfiel. So konnten wir die große Reisetasche mit den Süßigkeiten für Emmanuel und den Brillen für die augenärztliche Ambulanz des Annunciation Hospitals ohne Probleme und kritische Fragen direkt vom Rollband in den Kofferraum unseres Fahrers packen. 

An dieser Stelle möchte ich dem Geschäftsführer der Rottweiler Filiale von Fielmann herzlich danken. Er hat mich dieses Mal mehr als großzügig bedacht. Dazu hin war der größte Teil der Brillen in Etuis verstaut, so dass alles den Transport heil überstand. 

Auf der Fahrt zum Dracc (Daughter of Divine Love Recreating- and Conference-Center) in Abuja sah ich Nigeria erstmals grün: Bei meinen früheren Reisen jeweils im Februar in der Trockenzeit hatte sich die Landschaft braun und trocken präsentiert – jetzt in der Regenzeit bietet sich ein völlig anderes Bild: sattes Grün, so weit das Auge reicht. 

Den ersten Nachmittag verbrachten wir überwiegend schlafend. Draußen regnete es, die Luft stand in der Feuchtigkeit. Beim Abendessen lernten wir einen jungen Augenarzt aus Oklahoma kennen, der sich nach der Facharztausbildung vor dem Eintauchen „ins reale Leben“, wie er sich ausdrückte, auf einer mehrmonatigen Europareise mit Abschluss einer dreiwöchigen ehrenamtlichen Tätigkeit in einer Augenklinik im Süden Nigerias befindet. Für dieses Vorhaben wünschen wir ihm viel Erfolg und alles Gute! 

Wir verließen das Dracc heute Morgen um 8.30 Uhr, um unseren Weiterflug nach Enugu anzutreten. Zunächst standen wir am falschen Flugschalter – am richtigen erfuhren wir zu unserer großen Begeisterung, dass die Flugzeiten abgeändert worden waren. Statt wie auf dem Ticket ausgedruckt um 10.40 Uhr habe der Flieger regulär bereits um 7.00 Uhr morgens abgehoben – wegen einer Verzögerung sei es dann zwar 9.00 Uhr geworden – für uns war es in jedem Fall zu spät! Nach einigem Hin und Her wurden wir auf morgen umgebucht. Um 11.00 Uhr waren wir zum Erstaunen aller wieder zurück im Dracc und hatten einen Tag absoluten Faulseins vor uns! Schlafen – lesen – ein bissle schwätzen, ich ein bissle stricken, ein bissle tippen. Ein absolut erholsamer zweiter Urlaubstag.  Unterbrochen wurde dieses lautlose Verrinnen der Zeit lediglich durch den Jagderfolg eines jungen Torwärters, der eine große Echse erlegt hatte und sie stolz präsentierte. 

Nach dem Ausnehmen und Häuten hängte er sie in einen Baum zum Trocknen. Heute Nacht träumt er sicherlich von der tollen Mahlzeit, die ihm demnächst bevorsteht...

Inzwischen warten wir auf's Abendessen. Draußen plätschert der Regen sanft vor sich hin, ich musste deshalb meinen Schreibplatz aus dem Garten ins Zimmer verlagern. In der Nähe spielt Musik, die Grillen zirpen, es herrscht Abendstimmung vor einem Sonntag...

Ich hoffe, dass es morgen mit dem Flug klappt und ich Stefan endlich Emene zeigen kann!



Stefan schreibt:

Was die Offenheit und Herzlichkeit der Nigerianer anbelangt, kann ich meiner Mutter beipflichten. Auch heute am Flughafen sprach mich ein Mann kurz an und fragte mich, wo ich denn hin wolle. Ich sagte es ihm und er meinte: „Welcome to Nigeria“ und ging weiter. Richtig nett.

Ich habe jedoch das Gefühl, dass es hier sehr hierarchisch zugeht und dass die Afrikaner andere Einheimische, die scheinbar unter ihnen stehen, das auch spüren lassen. 

Interessant ist auch, was hier so auf den Straßen abgeht. Hier fahren Autos durch die Gegend, die  man in Deutschland so nicht einmal auf dem Schrottplatz findet. Hingegen aber auch recht schicke Autos. Das wichtigste hier ist selbstverständlich die Hupe, die bei jeder Gelegenheit ausgiebig getätigt wird. Auf dem gestrigen Weg zum Dracc standen Männer mit kleinen Hunden auf den Armen am Straßenrand, die sie zum Kauf feil boten. Man sieht hier viele Dinge die einen traurig stimmen und zum Nachdenken anregen. Aber auch viele tolle, interessante und lustige Sachen, ohne die es hier wahrscheinlich nur schwer auszuhalten wäre. So stand heute ein kleines Mädchen an der Bushaltestelle und hat richtig toll vor sich hingetanzt. Das fand ich total nett. 

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Sonntag, 05.08.2012

Stefan schreibt:

Gestern wurden wir um 5.00 Uhr morgens von unserem Fahrer im Dracc abgeholt und an den Flughafen nach Abuja gebracht. 


Dort standen wir vor dem Airport und warteten beinahe eine
Stunde, bis die Damen und Herren beschlossen, den Flughafen mit Verspätung zu öffnen, um dann festzustellen, dass die Waage nicht funktioniert, so dass wieder alle zum Warten verdammt waren. Leider ließ die nächste Überraschung nicht lange auf sich warten, und insgeheim hatte ich das auch schon befürchtet: Meine Mutter hatte jede Menge „Übergepäck“ was die Entrichtung einer Extragebühr zur Folge hatte. Nur blöd, dass wir bis dato keinen Cent der einheimischen Währung (Naira) hatten. Also musste meine Mutter in den anderen Terminal, um Geld zu einem nicht besonders günstigen Kurs zu wechseln; anschließend wieder zurück, um an einem anderen Schalter die Gebühr zu begleichen und sich quittieren zu lassen. Die Dame am Check-In machte mich unterdessen darauf aufmerksam, dass unser Flug bereits geboardet wird und wir uns beeilen müssen. Allerdings stand meine Mutter in der Schlange relativ weit hinten, der Afrikaner vor ihr hatte unendlich viel einzelne Gebühren zu entrichten, diese wiederum mussten alle abgestempelt werden – und das dauert seine Zeit. Mit der Quittung in der Hand rannte ich zum Check-In Schalter und holte unsere Boardingkarten, mit denen wir wiederum nach kurzer Kontrolle zum Gate rannten. Dort wurden wir bereits sehnsüchtig erwartet und mit einem Shuttle-Bus, nur mit uns beiden und dem Fahrer bestückt, zum Flugzeug gefahren. Ich hatte den Flieger bereits ohne uns abheben sehen, was keine fünf Minuten später auch der Fall gewesen wäre. 


Gabi schreibt:

Stefan wird sie schon noch lernen – die afrikanische Gelassenheit. Letzten Endes hat alles geklappt. Das Übergepäck resultierte übrigens aus den großzügigen Gaben des Fielmann-Konzerns und Mitbringseln an Freunde in Enugu. 

Nach meiner Erinnerung waren wir ca. 16 Personen im Flugzeug, konnten uns die Sitzplätze selbst aussuchen. Nach all der Hektik gab es auch einen guten Kaffee, den ich sehr genoss. Um 8.00 Uhr landeten wir schließlich in Enugu auf einem Flughafen, der eigentlich nicht in Betrieb sein sollte.

Das Gebäude wurde nahezu total abgerissen, aber die Rollfelder sind intakt. Dass jegliche Kontrolle entfällt, versteht sich von selbst. Wir orderten ein Taxi und ließen uns zum Dracc kutschieren, vorbei an frühen Sonntagmorgenkirchgängern. Dort herrschte dann große Verwirrung: durch die jährliche Schwesternkonferenz war das Haus mit ca. 600 Schwestern total überfüllt, wir konnten unsere Zimmer erst gegen 21.00 Uhr abends beziehen. Im Verlauf des Tages zeigte ich Stefan das Grundstück, auf dem ich künftig leben werde, die am Sonntag leergefegte „Einkaufsstraße“ vor dem Hospital, und wir spazierten zum Fluss, der jetzt in der Regenzeit ordentlich Wasser führt. 


Alles in allem war es ein zweiter absoluter Ruhetag – morgen wird es wahrscheinlich wesentlich betriebsamer zugehen.


Montag, 06.08.2012

Gabi schreibt:

Da sich an das Jahrestreffen eine Woche Exerzitien anschließen, wurde ich bereits um 5.30 Uhr von den Gesängen der Schwestern geweckt. Es gibt wirklich Schlimmeres – trotz der frühen Stunde.    Insgesamt war heute ein Tag großer Freude: wir starteten gegen 9.00 Uhr und brachten nach einem ausgedehnten Frühstück erst einmal einen Teil der Brillen in die Augenklinik. Alle konnten wir nicht tragen, so viele sind es. Die Ambulanz hat inzwischen einen Raum dazu bekommen und ist jetzt besser ausgestattet – allerdings nach wie vor lediglich mit second-hand-Apparaturen aus Europa, wovon wiederum ein Teil nicht funktioniert. Es herrschte große Freude bei Dr. Eze, als ich ein intaktes Untersuchungsgerät aus der Schweiz ankündigen konnte. Der Jubel brach endgültig los, als wir das Foto mit dem blauen VW-Bus zeigten, der künftig als Ambulanzfahrzeug auf die Dörfer im Einsatz sein soll. Die Krankenschwester und die Klosterschwester fingen an zu singen und zu tanzen, alle waren total aus dem Häuschen. Von verschiedenen Seiten bekamen wir den Segen Gottes, so dass uns hier eigentlich gar nichts mehr passieren kann.

Anschließend zogen wir zu Sr. Josefa weiter, die als Hebamme im Hospital arbeitet. Sie führt auch die Neugeborenenstation, berät Mütter mit HIV nach der Geburt, testet die Babys, begleitet die weitere Entwicklung, bis sie abgestillt werden, geht zu Geburten auf die Dörfer, bringt Testmaterial und Medikamente dorthin, schult die Frauen vor Ort  im Umgang damit, erstellt Statistiken und und und... - und das alles mit einer unendlichen Geduld, jedoch auch sehr energisch, wenn es angezeigt ist. 

Sie soll den Inkubator aus dem Krankenhaus Schramberg bekommen und das Kinderbeatmungsgerät. Auch hier herrschte große Freude!

Nach dem Kauf zweier(!) Orangen bei „meiner“ Marktfrau und einem kurzen Besuch in einer Bar kehrten wir in das Krankenhaus zurück und sprachen mit Ernst Rottenberg, dem technischen Leiter. Der segnete – Gott sei es gelobt – den VW-Bus endgültig als geeignet für Emene ab. Anschließend Mittagessen mit Dr. Eze im Restaurant des Krankenhauses (statt, wie angekündigt, um 13.00 Uhr starteten wir um 15.00 Uhr!). Danach kehrten wir zum Dracc zurück und trafen uns mit Emmanuel, einem jungen Mann, der früher in Rottweil als Asylbewerber lebte und abgeschoben wurde. 

Den Rest des Nachmittags verbrachten wir ruhig – wir redeten, wir schwiegen, ich strickte, Stefan schaute. Zwischendurch sprachen uns immer mal wieder Schwestern an, die wissen wollen, was wir hier zu suchen haben, und ich gab brav Auskunft. 

Zur großen Beruhigung meines Sohnes haben wir inzwischen auch Geld eingewechselt und konnten all unsere Schulden begleichen. 

Zum Abendessen hatten wir uns Tomatensalat gewünscht und bekommen – Emene like. Zum Ausklang des Tages tippte Stefan sein Tagebuch, ich strickte (bald ist der Schal für den Adventsbazar fertig). Die Schwestern sangen ihre Nachtgebete und ich genoss die erste freilaufende Mango meines Lebens: direkt vom Baum gefallen, von Stefan aufgesammelt, ohne Konservierungsstoffe, ohne Nachreifungsprozess in einer Kiste – very, very sweet!

Eine große Überraschung habe ich anzumerken: In Emene ist es tagsüber momentan kühler, als es  vor ca. 2 Wochen in Zimmern o.R. war.  Abends könnte ich sogar „a Kittele“ vertragen. Wer hätte das gedacht?

Wie Ihr sehen könnt, sichern sich die Daughters of Divine Love den göttlichen Beistand für die Elektroinstallation des Hauses. Ich habe vollstes Vertrauen. 


Ich wünsche Deutschland eine gute Nacht – kachifoo germany laruju