Reisetagebuch 2012 letzter Teil

Freitag, 24.08.2012

Gabi schreibt:

Wie wir hören, hängt über Deutschland eine Hitzeglocke – hier herrscht die Kälteperiode. Besonders während der heftigen nächtlichen Regenfälle wird es empfindlich kühl. Gestern und heute haben Stefan und ich überwiegend mit Nachbetrachtungen verbracht. Gestern Abend kam Chinedu mit zwei jungen Männern zu Besuch: einer davon, Julien aus Paris, arbeitet seit mehr als einem Jahr im französischen Zentrum in Enugu als Sprachlehrer ( www.alliancefrancaise-ng.org ). Der Personenkreis derer, mit denen ich mich künftig austauschen kann, wird immer größer.

Während sich die Herren ins Nachtleben von Emene stürzten, hatte ich im Dracc noch eine Begegnung mit Mary Cynthia. Es ging ihr nicht besonders gut, sie berichtete über Kopf- und Magenschmerzen. Dieses Mädchen wird mich nach Deutschland „begleiten“. Sie träumt davon – so sie Träume in ihrem Leben überhaupt zulässt – Ärztin zu werden. Dann kommt jedoch sofort die Bemerkung: „I know my position...“ Im Klartext: als Älteste hat sie die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister mit zu tragen und kann sich nicht in Illusionen über eine positive Zukunft verlieren. 


Nachdem die Mutter ihrer Schilderung nach nur mit Mühe das Schulgeld bezahlen kann, wird sie wohl ohne einen Abschluss bleiben. Mir kommt die Bemerkung einiger in Deutschland lebender Afrikaner in den Sinn, denen die Unlust vieler Jugendlicher am Lernen unverständlich ist: „Für uns zu Hause ist der Besuch einer guten Schule keine Pflicht, sondern ein Geschenk!“ 

Im Gegensatz zu Mary Cynthia erlaube ich mir zu träumen: dass die Unterstützung durch Paten Kindern wie ihr die ihr zustehende Bildung ermöglicht. Mit einem Abschluss der Mittleren Reife könnte sie wenigstens Krankenschwester werden. Nigeria benötigt dringend qualifizierte junge Menschen, und zwar konkret aus der Unterschicht. Sie sind zielstrebiger als die verwöhnten Sprösslinge der Reichen und haben ein erklärtes Ziel: ihre Situation und die ihrer Familie zu verbessern. 

Heute kommt bereits eine Ahnung von Abschiedsstimmung auf: wir haben im Krankenhaus zu Dr. Eze und seiner Mitarbeiterin und zu den Menschen in der Wäscherei bereits „ka emesia“ (auf Wiedersehen) gesagt. Über den großen Palmen vor meinem Fenster hängen tiefe Wolken, Melancholie macht sich breit. Morgen aber wollen wir nochmal einen Ausflug machen an einen Fluss, um nicht völlig in Trübsal zu versinken. 

Inzwischen ist es 21.30 Uhr. Der Blues hat sich in Wohlgefallen aufgelöst: Zum zweiten Mal mache ich die Erfahrung, dass mir in den letzten Zügen eines Aufenthaltes hier so lustige Dinge passieren, dass alle Wehmut wie weggefegt ist.

Wir hatten uns abends zum Abschiednehmen zu Familie Johnson aufgemacht. Die Madonna ist fertig und wird morgen an ihren Bestimmungsort gebracht. 


Papa Johnson hat 6 Stunden Fahrt im Bus zu bewältigen und wird erst am Sonntag oder Montag wieder zurückkommen. Während unseres Besuches ging ein mächtiges Gewitter nieder. Seit heute Abend weiß ich, was ein tropischer Regenguss ist. Erst nach 2 ½ Stunden ließ es etwas nach und wir machten uns auf den Rückweg. Die Elektrizität war mal wieder in die Knie gegangen, es war zappenduster. Papa Johnson eskortierte uns mit einer Lampe, Mama zeigte sich solidarisch und ging ebenfalls mit. Da die Gegend von Emene topfeben ist und der Untergrund aus Kohlegestein besteht, nimmt der Boden das Wasser nur unzureichend auf. Vor dem äußeren Tor des Dracc hatte sich ein riesiger See aufgestaut, der mir bis zu den Knien reichte. Wir vier hatten großen Spaß, durch diese Wassermassen zu waten. Spätestens jetzt ist den Einheimischen klar, dass die Germans hart im Nehmen sind. Was für ein Glück, dass Stefan wirklich jeden Quatsch tapfer durchsteht; er wird dadurch belohnt, dass er seine Mutter beim Kampf mit den Fluten ablichten darf...


Stefan schreibt:

Morgen ist unser letzter Tag, was sowohl Trauer als auch Freude aufkommen lässt. Traurig ist für mich, all die Menschen, die ich in den letzten Wochen lieb gewonnen habe, für eine längere Zeit nicht mehr zu sehen. Zum Glück hält auch hier das Internet Einzug, so dass wir zumindest elektronisch in Kontakt bleiben können (Facebook, Email und Co). Außerdem merke ich, dass ich mich, je länger wir hier sind, mehr und mehr einlebe und mit den Sitten, Gebräuchen und sogar dem Essen besser zurecht komme. Gestern abend war ich mit mit Chinedu, Julien und einem Freund von ihm in einer nahe gelegenen Bar. Dort tranken wir ein Bierchen und aßen „Cow-Head-Soup“. Hört sich für einen deutschen Magen zunächst nicht sonderlich prickelnd an. Schmeckt aber durchaus lecker. Vor allem schöööön scharf. 

Dennoch kommt Freude auf, wenn ich an all die leckeren Gerichte denke, die ich mir zubereiten werde, wenn ich wieder zuhause bin. Ich werde erst wieder nach Nigeria reisen, wenn meine Mutter ihre eigene Küche eingerichtet hat und eine für europäische Mägen halbwegs verträgliche Nahrungszufuhr gesichert ist. Nicht zuletzt freue ich mich natürlich auf meine Töchterchen und auf meine Frau, die die letzten Wochen tapfer ohne mich durchgehalten hat. Und - wir werden nicht müde es zu erwähnen - auf eine gepflegte Tasse Kaffee mit richtiger Milch. 

Kachifo Germany (Guats Nächtle)


Samstag. 25.08.2012

Gabi schreibt:

Ich bin total überwältigt: heute hatten wir den schönsten Abschiedsausflug, den man sich vorstellen kann. Durch Stefans Kontakte in Enugu zum French Center www.alliancefrancaise-ng.org ) fuhren wir mit einer Gruppe junger Menschen von Mitte/Ende 20 – der Franzose Julien, eine Frau aus Kamerun, ein Senegalese, der schon in Frankreich und Côte D'Ivoir lebte,  ein Nigerianer, der im French Center Igbo unterrichtet, eine Nigerianerin – in einem Kleinbus mit französischem Diplomatenkennzeichen ein weiteres Mal ins Gebirge, dann von der großen Straße weg über die rote Erde nach Obeleagu-Umana, einem winzigkleinen Dörfchen mit einem noch winzig kleineren Lädchen, einem würdigen, alten Chief, der die Besuchergruppe aus der Stadt persönlich begrüßte (unterwegs hatte ihm Julien, der ihn bereits kennt, noch eine Flasche Ouzo besorgt). Allein die Fahrt abseits der großen Straße war wunderschön, durch die in der Regenzeit üppig grüne Landschaft, vorbei an kleinen und gepflegten Kasava- und Jam-Feldern, über sanfte Hügel zum endlos scheinenden Horizont. 


Das Dorf hat ein Kleinod anzubieten: ein Flüsschen, tief ins Gestein eingegraben, wild rauschend in mehreren Kaskaden hinabstürzend. Nach einem Fußmarsch von ca. 15 min. über einen Trampelpfad kommen wir an.  Oberhalb des kleinen Wasserfalls sprudelt eine heiße Quelle in ein Becken, weiter unten haben die Dorfbewohner sich ihren Waschplatz eingerichtet. 


Während ich es mir im schattigen Urwald am Fluss auf einem Stein gemütlich mache, stürzt sich der Rest der Gesellschaft mit Begeisterung in die Fluten. 


Innerhalb kürzester Zeit sind die „Stehplätze“ am Ufer von der Dorfjugend gut besetzt, die das Spektakel der Städter staunend betrachtet. Nach kurzem Zögern jedoch springen die Kinder ebenfalls ins Wasser und plantschen fröhlich mit. 

In der Abenddämmerung fahren wir zurück nach Enugu, müde, gelöst, glücklich. 

Morgen fliegen wir in aller Frühe zunächst nach Abuja, dann in der Nacht weiter nach Frankfurt. Ich komme sehr bald wieder, Stefan sicherlich dann, wenn ich eine funktionsfähige Küche vorweisen kann. 


Stefan schreibt:

Im Grunde hatten wir wirklich großes Glück, dass wir eine Woche nach Enugu ausquartiert wurden. Ansonsten hätten wir nämlich nicht Chinedu kennen gelernt, welcher uns diverse und sehr wertvolle Kontakte hergestellt hat. Abgesehen davon, dass Chinedu selbst ein toller und sehr netter Mann ist, haben wir durch ihn die Leute vom French-Center  kennen gelernt. Wie sich herausstellte unterrichtet das French-Center neben Igbo, Französich, Spanisch etc. auch Deutsch. Nach kurzem Austausch mit den Leuten vor Ort ist nicht mehr auszuschließen, dass meine Mutter in absehbarer Zeit den Nigerianern Deutschunterricht gibt. Außerdem durften wir, wie weiter oben ja schon geschildert, dem Chor von Chinedu beiwohnen. Ein wirklich beeindruckendes Erlebnis. Auch hier wird meine Mutter mit großer Sicherheit einsteigen. Nicht zuletzt haben wir durch ihn einen, wie wir uns inzwischen von verlässlichen Quellen haben bestätigen lassen, äußerst kompetenten Bauleiter (Conducter) kennen gelernt. Wenn alles glatt läuft, wird er derjenige sein, der meiner Mutter das Haus baut, in dem später auch die Waisenkinder wohnen werden. Neben der Unterstützung der augenärztlichen Ambulanz und der Abteilung für HIV-Diagnostik und Prävention (inkl. Behandlung der Mütter und Kinder)  im Annunciation Hospital, wird dieser Bereich Hauptaufgabe des Vereins sein. 

Besonders deutlich wurde die Dringlichkeit des Einsatzes eines augenärztlichen Ambulanzbusses bei den Fahrten in die Dörfer. Weit abseits der großen Straßen erreicht notwendige medizinische Hilfe die Menschen nur sehr unzureichend. Die Erblindung durch eine Erkrankung am Grauen Star ist heute leicht abzuwenden, besonders bei alten und gebrechlichen Menschen jedoch muss der Arzt zum Kranken kommen. Zwar konnten wir durch die bisher eingegangenen Spenden den Kauf des Busses finanzieren, die Kosten für die Verschiffung sind allerdings noch offen. 

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