Reisetagebuch Teil 5

Mittwoch, 22.08.2012

Gabi schreibt:

Jubilate – es kommt Bewegung in die Angelegenheit. Was sich bislang mehr oder weniger als Urlaubstagebuch darstellte, kommt in seiner Schlussphase in Fahrt, und zwar mit einem für hiesige Verhältnisse rasanten Tempo:

Nachdem wir vorgestern noch mit Benedikt und seinem Vater vereinbart hatten, dass wir uns „mein“ Grundstück mal näher anschauen möchten, entwickelte sich dieses Vorhaben unversehens heute Abend zu einer größeren Veranstaltung: Chinedu kam, um Stefan sein Hemd zu bringen und wollte sich unserer Besichtigungstour anschließen; just traf er vor dem Dracc einen guten Bekannten, der Contractor ist, auf deutsch Bauleiter. Der wiederum hat sich als Steckenpferd die Gewinnung und Nutzung von Regenwasser ausgeguckt und beeindruckte Stefan und mich dadurch, dass er sogar schon mal bei einem internationalen Kongress zu diesem Thema in Mannheim war. Und so zogen wir statt zu dritt zu fünft los, um das Gelände zu inspizieren, im Gänsemarsch, durch die vom nahezu 24stündigen Regen der letzten Nacht und großen Teilen des heutigen Tages gefüllten Pfützen oder – so es der Weg erlaubte - um diese herum. Die Nachbarschaft war schwer beeindruckt, allerorten klangen die abendlichen Begrüßungsfloskeln über die Straße. Und wie das Schicksal es wollte, saß der Herr der Grundstückspläne auf seinem Feierabendbänkchen vor dem Haus, die Hände über seinem stattlichen Bauch gefaltet. Er wurde umgehend damit beauftragt, den Plan des Flurstücks zu besorgen, um die genauen Vermessungen vornehmen zu können. Spätestens jetzt ist klar, dass die verrückte Weiße sich wirklich hier niederlassen wird. 

Peter Ane, der Contractor, zeigte vor Ort sehr versiert die Möglichkeiten auf und die nächsten notwendigen Schritte. Da er die Wasserversorgung des Annunciation-Hospital ebenfalls konzipierte, weiß er um den Verlauf der Leitungen genau Bescheid, was sehr viel Nachfragen erspart. In Zeiten des Internet sollte es möglich sein, bis zu nächsten meinem Besuch die weitere Planung auf den Weg zu bringen. Benedikt und sein Vater, die in unmittelbarer Nähe wohnen, werden das Monetoring übernehmen. 

Ich möchte doch noch ein paar Worte über meine „Urlaubsgefühle“ verlieren: der aktuelle Aufenthalt ist für mich persönlich ein Wechselbad der Gefühle. Hier in Emene fühle ich mich sehr wohl, obwohl dieser Vorort der Millionenstadt Enugu ein Slum ist. Das Annunciation-Hospital ist wie ein sicherer Hort in der Brandung und lässt die Armut und das Chaos erträglicher erscheinen. Die stete Präsenz der Schwestern, ihr Engagement und ihre Gelassenheit tragen zu diesem Klima wesentlich bei. Ohne die humorvollen und geschäftstüchtigen Marktfrauen wäre die Tristesse der notdürftig zusammengeschusterten kleinen Stände vor den Toren des Krankenhauses unerträglich. So aber können Stefan und ich dort unsere tägliche Obstration kaufen und ab und zu eine Cola oder ein Sprite trinken. Jede einzelne dieser Frauen verdient größten Respekt. Mit großer Gelassenheit stellen sie sich täglich ihrem harten Leben und helfen, oft mit einem nackten Kleinkind am Rockzipfel, das Budget der Familie aufzubessern. Als verwöhnte Deutsche frage ich mich oft, wo sie die Kraft dazu hernehmen. Es ist schwer, diese Gefühle in Worte zu fassen. Eine Schilderung dieser Lebensumstände von außen ist nahezu unmöglich. Und genau so unmöglich ist es für mich, ständig und ohne Zweifel hinter meiner Entscheidung zu stehen, hier zu leben. Klar ist: es wird kein Spaziergang, aber ich fühle mich willkommen – nnoo – und angenommen im Land der Igbos. 

Benedikts Vater hat den Kampf mit seiner Madonnenstatue endgültig gewonnen. Bevor er uns heute Abend traf, hat er mit seinem Handy ein Foto gemacht, um uns über den Fortgang zu informieren. Ein sehr schöner Nebeneffekt dieses gelungenen Treffens war, dass Peter Ane von dem Bild so beeindruckt war, dass sie die Telefon-Nummern ausgetauscht haben. Ich wünsche Johnson von Herzen, dass er heute einen neuen Kunden gewinnen konnte.

Heute Nacht werde ich gut schlafen und – da bin ich ganz sicher – beflügelte Träume haben!