Reisetagebuch Teil 3

Donnerstag/Freitag: 09.08./10.08.12

Gestern pendelten wir lediglich zwischen dem Dracc und dem Hospital hin und her, da niemand Zeit hatte, mit uns etwas zu unternehmen. Sr. Jane war krank und blieb in ihrem Zimmer, wir machten uns einen sehr geruhsamen Tag. Langweilig wird es uns bei unseren Gängen durch's Dorf nie, andererseits werden wir bei unseren Betrachtungen selbst zur Attraktion: so fasziniert uns jedes Mal ein Eukalyptusbaum, der nahezu kahl ist. Die Blätter werden von der darauf lebenden Vogelkolonie zum Nestbau verwendet, an den Ästen hängen Hunderte der kleinen Kugeln. Die Bewohner machen einen Riesenradau, streiten sich um die besten Nistplätze. Wir legen jedes Mal eine Pause ein und staunen, was die Menschen um uns herum sehr amüsiert. 


Stefan ergänzt:

Schließlich stellte sich uns ein Parkplatzeinweiser der Klinik als Vater all der kleinen Vögelchen vor. Wir meinten nur, dass er in diesem Fall ja wohl alle Hände voll zu tun habe. Er räumte ein, ab und zu seien seine Kinderchen etwas ungezogen und würden versuchen, ihm auf den Kopf zu sch.... - daher trage er zum Selbstschutz eine Mütze. Sehr weise!

Am Nachmittag meinte Sr. Jane, wir sollten doch in Enugus neues Einkaufszentrum gehen, dem größten in Nigeria, wenn man der Werbung Glauben schenkt. Es ist wirklich gigantisch und wurde vor ca. einem Jahr eröffnet. Für mich ist es insofern von Interesse, als ich dort fast alles kaufen kann, was ich auch in einem Supermarkt in Rottweil bekomme – allerdings wesentlich teurer. So kostet z.B. Käse etwa das Dreifache, auch Wurst ist happig. Dem Rotwein werde ich künftig entsagen müssen, es sei denn, Besucher aus Deutschland bringen mir etwas mit. Er ist einfach unerschwinglich. 

Generell ist jedoch zu sagen: wer in der Mall einkauft, hat Geld. Und wer was gucken will, geht am Freitagabend mit seiner Familie dort spazieren und wundert sich. 



Samstag: 11.08.12

Am Vormittag haben wir ein weiteres Mal Familie Johnson besucht. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die zu restaurierende Madonna inzwischen Fortschritte gemacht hat – jedoch weit gefehlt. Vielmehr hatte sie sich nach den ersten Reparaturarbeiten nicht mehr aus der Rohform lösen lassen und lag, in Einzelteile zerlegt, im Hof im Staub. Die kalkulierten zwei Wochen werden nun bei weitem nicht ausreichen, um die Arbeit abzuschließen.

Stefan ergänzt:

Vater und Sohn arbeiteten auf Hochtouren an der Restaurierung und Wiederherstellung der Madonna. Dazu wurde Fiberglas in die Rohformen gelegt und mit Kleber und Härter in Form gebracht und fixiert. Die Arbeiten werden mittels primitiver Werkzeuge bewerkstelligt. Nicht einmal ein Hammer ist verfügbar. Es wird verwendet was im Hof rumliegt und gerade passend erscheint. Auch von Handschuhen, Mundschutz etc. keine Spur, was bei solch giftigen Materialien eigentlich absolute Pflicht wäre. 

Gabi schreibt:

Am Nachmittag fuhren wir mit Sr. Jane zu meinem bisherigen Lieblingsausflugsziel, in ihr Heimatdorf, um ihren Cousin zu besuchen. Dieses Dorf ist nur über eine lange Sandpiste zu erreichen und liegt fernab des viel befahrenen Highway. Es ist, als ob man eine andere Welt betreten würde. Abgesehen von einer kleinen Schule zu Beginn dieses Dorfes, das über ein großes Areal verteilt ist, und von einigen kleinen Läden gibt es keine Infrastruktur. Und mit dem Auto zum Elternhaus von Sr. Jane zu kommen, ist ein kleines Abenteuer, vor allem in der Regenzeit. Aber wir haben ja unseren versierten Fahrer Josef. Seine Arbeitszeit besteht aus zwei Teilen: entweder er umfährt elegant Schlaglöcher, die fast so tief sind wie der Grand Canyon, wurschtelt sich gelassen durch den dichtesten Verkehr, pflügt durch riesige Wasserpfützen – oder aber er sitzt mit stoischer Gelassenheit am Auto und wartet darauf, dass seine Fahrgäste mit ihren Obliegenheiten fertig werden. 


Jedenfalls parkte er nach viel Gerumpel vor Jane's Elternhaus, das nur noch über Weihnachten bewohnt wird, und wir setzten unseren Weg zu Fuß fort. Die Wege zwischen den einzelnen Häusern sind durch den Regen tief ins rote Erdreich gewaschen, links und rechts des Weges sind die Gärten angelegt mit einer dichten Vegetation. Jetzt in der Regenzeit scheint die Natur zu explodieren.


Leider waren der Cousin und seine Frau nicht zu Hause, sondern zu Besuchen ins Nachbardorf gefahren. Wir machten es uns jedoch an einem kleinen Feuer außerhalb ihrer kleinen Hütte gemütlich. Sr. Jane hatte ein Mittagessen für uns vorbereiten lassen, so dass wir ein Picknick veranstalten konnten. 


Anschließend ließen wir den Frieden dieses Ortes auf uns wirken. Außer dem Zwitschern der Vögel oder dem Bellen eines Hundes ist nichts zu hören. Es fällt mir schwer, Abschied zu nehmen und wieder zurück in die sog. Zivilisation zu kommen. 


Sonntag: 12.08.12

Leider werden wir heute für eine Woche ausquartiert: Im Dracc in Emene werden 200 Priester für ein einwöchiges Seminar erwartet, da wird jedes Bett gebraucht. Wir ziehen um nach Enugu ins OfuObi African Center, einer von der Caritas betriebenen Begegnungsstätte. Wir leben dort in einem der kleinen Gasthäuschen mit je vier Zimmern, Dusche und WC, sind aber in unserer Ecke die einzigen Bewohner. Allerdings müssen wir uns selbst verpflegen, was relativ schwierig ist. Wir sollen wegen der unruhigen Situation das Gelände nicht alleine verlassen, die nächsten kleinen Marktstände sind weit entfernt. Da wir jedoch ausgesprochen flexibel sind, werden wir das Kind schon schaukeln. Hauptsache ist, dass wir uns morgens einen Kaffee kochen können.



Wir lernen Chinedu kennen, den jungen Mann, der OfuObi zusammen mit einer britischen Nonne führt. Er erzählt uns, dass er letztes Jahr für zwei Wochen in Süddeutschland war. Er leitet einen kleinen Gospelchor, der zu einer Konzertreise nach Deutschland eingeladen war. Leider hat die Deutsche Botschaft keine Einreisegenehmigungen erteilt... Wahrscheinlich muss ein solches Vorhaben auf eine breite professionelle Basis mit einem glaubwürdigen Sponsoren gestellt werden. 


Stefan schreibt:

Wir geniessen die Zeit und Ruhe auf dem Areal des OfuObi. Für heute Nachmittag hat sich Emmanuel angekündigt. Er möchte uns das Haus zeigen, dass er für seine inzwischen betagten Eltern gebaut hat. Nachdem er uns seinen Freund vorgestellt hat (er hat jedesmal einen Freund dabei, jedoch immer einen anderen???) kann es losgehen. Doch zunächst müssen wir seine Mutter abholen. Das gestaltet sich jedoch etwas schwierig, da die Menschen hier komischerweise keine genauen Ortsangaben machen können oder wollen und daher immer nur ihren ungefähren Standort angeben. Nach längerem Hin und Her und diversen Handytelefonaten war die Suche jedoch erfolgreich. Dann ging es weiter, um auch den Vater abzuholen, der bei seinem älteren Bruder zu Besuch war. Dazu muss gesagt werden, dass die Familie von Emmanuel geschäftlich äußerst erfolgreich ist und daher nicht gerade arm. Also fuhren wir in ein eigens für die Oberschicht abgeriegeltes Viertel, von hohen und mit Stacheldraht versehenen Mauern umgeben und mit Sicherheitspersonal, das einen an einer Schranke passieren lässt – oder auch nicht. Plötzlich ergibt sich ein völlig anderes Bild zu der ansonsten so trostlosen Umgebung. Überall stehen für hiesige Verhältnisse pompöse Villen, jede für sich noch einmal von Mauern mit Stacheldraht eingeschlossen. Wie fast überall hier fährt man dann vor das Tor, hupt lautstark und einer der Hausbediensteten macht das Tor auf und gleich wieder zu. 

Der Besuch der Familie war kurz, aber nett. Meine Mutter bekam sogar ein Gläschen Rotwein!

Anschließend fuhren wir zu sechst mit einem Auto zum Haus von Emmanuels Eltern. Kein Problem, da auf den Straßen hier sowieso Anarchie herrscht und sich niemand darum schert, ob nun eine oder knapp zwanzig Personen (wie in den ganzen Kleinbussen, die hier rumfahren) im Fahrzeug sitzen. Bei den Eltern angekommen, wurden wir zum Abendessen eingeladen und bekamen eine kleine Hausführung. Es wurde langsam dunkel, und plötzlich hatte es Emmanuel ziemlich eilig, uns wieder zum OfuObi zurück zu fahren. Grund dafür ist, dass auch hier fast ausschließlich betuchte Leute wohnen. Diese verlassen am Morgen ihren Hochsicherheitstrakt, gehen auf Arbeit, kommen am Abend wieder heim und verkriechen sich hinter den hohen Mauern. Nachts tauchen dann wohl  dubiose Gestalten auf und es ist wenig ratsam, sich nach Einbruch der Dunkelheit alleine draußen aufzuhalten. Erst recht nicht als Weißer. 


Dienstag, 14.08.2012

Gabi schreibt:

Unsere Tage in Enugu plätschern geruhsam vor sich hin. Gestern hielten wir uns nur auf dem Gelände des OfuObi African Centers auf. Es tut gut, Abstand von der Betriebsamkeit dieser Großstadt zu bekommen und auf einer stillen Insel zu sein. Der Park ist wunderschön mit einem alten Baumbestand. Neben einer kleinen Gemeinschaftsküche gibt es zwei große, offene Hallen, in denen man sich tagsüber aufhalten kann. In einer davon werden den ganzen Tag über Getränke verkauft, so dass die Flüssigkeitszufuhr gesichert ist. Lediglich unseren Kaffee müssen wir uns immer selbst machen – die Nigerianer kennen dieses Ritual nicht. 

Besonders gut gefällt mir das Mosaik auf dem Flur des Bürogebäudes: If you want peace, work for justice – Nnoo – Welcome. Dem ist nichts hinzuzufügen.  

Heute hat uns Sr. Kate vom Charity-Home der Daughters of Divine Love abgeholt. Ich hatte dieses Haus bereits im Februar besucht und wollte es auch Stefan zeigen. Derzeit leben dort 50 Kinder vom Säuglingsalter bis hin zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Teils wurden sie von der Straße aufgesammelt, teils kommen sie selbst und fragen um Hilfe. Allerdings ist die Kapazität im Moment erschöpft – in diesem Jahr konnte kein Kind – außer einem jetzt dreimonatigen, auf der Straße geborenen Baby – aufgenommen werden. Für uns bzw. von außen wirkt die Situation  bedrückend, bei näherer Betrachtung löst sich dieses Bild teilweise auf. Die Kinder kümmern sich rührend umeinander. Wahrscheinlich sind sie glücklich über drei warme Mahlzeiten täglich, ein Dach über dem Kopf und die Möglichkeit des Schulbesuches.